Das letzte Gefecht unseres Heeres

Kein klarer Auftrag, dafür eingemottete Panzer, schlecht trainierte Miliz und ein 500-Millionen-Sparpaket: Das Bundesheer kämpft ums nackte Überleben.

HEERESREFORM GERÄT INS STOCKEN

Das Sparpaket der Regierung trifft den Verteidigungshaushalt stark:

Ein Volumen von 520 Millionen Euro muss gehoben werden.

Minister Darabos versichert, dass keine Waffengattung gestrichen wird. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die laufende Heeresreform teils abgeändert und teils verschoben wird.

Bekannt sind bereits Pläne, Betriebskosten zu senken, Panzer einzumotten und Lagerkapazitäten abzubauen.

 

Wenigstens um verschleiernde Ausdrücke ist man nicht verlegen: Die Einsatzbereitschaft der rund 270 Panzer sei "lageangepasst", gab kürzlich Generalleutnant Othmar Commenda bekannt. Ein schönes Wort. Der stellvertretende Generalstabschef umschrieb damit den Umstand, dass nur 55 Prozent der Kampfpanzer und ein Drittel der Schützenpanzer betriebsbereit sind.

 

In Friedenszeiten mag das reichen. Aber es zeigt, dass ein weiteres Herunterfahren fast nicht mehr möglich ist. Trotzdem wird jetzt genau das passieren. Verteidigungsminister Norbert Darabos lässt über den Sommer Pläne zur Stilllegung ausarbeiten, um bei den mechanisierten Einheiten Treibstoff und Instandhaltungskosten zu sparen.

 

Im Klartext heißt das: Eine der beiden noch bestehenden Panzergrenadierbrigaden wird eingemottet. Übrig bleibt nur eine einzige Brigade mit knapp 300 Panzern und gepanzerten Fahrzeugen - das absolute Minimum, sofern man die Waffengattung Panzer nicht komplett streichen will. "Das ist gedankliche Kriegsverhinderung auf niedrigstem Niveau", meint ein Insider.

Potemkin lässt grüßen

Das Panzerdilemma ist beileibe nicht die einzige Baustelle im Heer, aber es zeigt exemplarisch, an welchem Punkt man sich befindet. Da die Zeit der großen Panzerschlachten sogar in den militärischen Planspielen abgelaufen ist, wäre es im Grunde nicht unvernünftig, Panzer in der Garage zu lassen. Andererseits braucht man eine Mindestzahl an Fahrzeugen, um Soldaten auszubilden und die sogenannte Aufwuchsfähigkeit zu sichern - also das Vermögen, im Bedrohungsfall rasch wieder größere Einheiten aufzubauen.

 

Man steht also politisch am Scheideweg: Noch mehr sparen bedeutet den Abschied von einer vollwertigen Armee. Will man diese aber behalten, wird es etwas kosten. Der beliebte Brauch, im Verteidigungswesen alle Systeme herunterzufahren und trotzdem die Illusion eines Potemkin'schen Kulissenheeres zu bewahren - das wird künftig nicht mehr gehen.

Phantomsoldaten

In der Miliz ist die Lage schon grotesk: Seit unter Ex-Minister Günther Platter der Wehrdienst von acht auf sechs Monate verkürzt und die regelmäßigen Truppenübungen aus Kostengründen abgeschafft wurden, üben die Heereskader mit Phantomsoldaten. Beim Abrüsten erhalten die Jungmänner einen Zettel, zu welcher Einheit sie gehören - das war's. Deshalb wird jetzt überlegt, den Wehrdienst auf fünf Monate zu verkürzen und wieder einen Monat Truppenübungen einzubauen.

 

Ein Problem ist auch, dass 56 Prozent des Heeresbudgets für Personalkosten draufgehen. Es gibt zu viele Offiziere: Aus dienstrechtlichen Gründen wurden sie alle behalten, obwohl die Mobilmachungsstärke seit 1990 von 243.000 auf 55.000 Mann reduziert wurde. Andererseits muss das Heer bis 2014 mehr als 500 Millionen Euro sparen und zugleich jährlich 216 Millionen Euro Eurofighter-Rate abstottern. Das erklärte Mindestziel, ein Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, sei "unrealistisch", sagt Darabos. Bis 2018 will er weitere 61 Heeresliegenschaften verkaufen. Mangelwirtschaft also, wohin man auch schaut.

 

Wollen und brauchen wir überhaupt noch eine klassische Armee? Die österreichische Sicherheitsdoktrin wird zwar demnächst neu formuliert, aber über diese Grundfrage traut sich niemand drüber. Betrachten wir die Fakten: Im Jahr 2009 waren im Schnitt 1.255 Soldaten im Auslandseinsatz, weitere 750 Mann standen im umstrittenen Assistenzeinsatz an der burgenländischen Grenze. Die mit Abstand größte Gruppe aber, nämlich 3.030 Personen, leistete Katastrophenhilfe im Inland.

 

Das Heer ist also in erster Linie eine Katastrophenschutzabteilung. Wir brauchen sie dringend: Im Ernstfall (z.B. Hochwasser) reichen die Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr rund 48 Stunden. Das Heer dagegen kann sechs Wochen bleiben - sofern wir Wehrpflicht und ausreichend Milizsoldaten haben. Doch ausgerechnet diese Kernaufgabe des Heeres ist nirgends verankert. Katastrophenschutz ist bei uns eine nachrangige Aufgabe, die gemacht wird, falls man Zeit hat.

 

Im Generalstab ist man uneins, ob man zur Rettung des Heeres bewusst auf die Schiene Katastrophenschutz setzen soll. Manche sehen darin ein Aufweichen der militärischen Kernidentität. Andere wissen, dass sie eine starke Achse zur Zivilgesellschaft brauchen. Die letzte Schlacht ums Heer, wie wir es bisher kennen, hat jedenfalls begonnen.

 

ERNST SITTINGER

KLEINE ZEITUNG vom 20. Juni 2010

 

Onlinequelle:

http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/2378055/letzte-gefecht-des-heeres.story