Gedanken zum Einsatz an der jugoslawischen Staatsgrenze 1991 A. Einleitung Dieser Beitrag stammt aus meinem diplomatisch ungehobelt geschrieben Tagebuch vom 26. Juni bis zum 31. Juli 1991. Er soll meine Eindrücke, Erkenntnisse und Gefühle von damals wiedergeben. Alles hat den Geist der Unmittelbarkeit, Sofortheit, der Unreflektiertheit, ohne historische, zeitgeistige, politisch korrekte, bürokratische und andere Distanzen. Dieser Beitrag analysiert nicht und erklärt nicht, ist frei von allen Höflichkeitsfloskeln, er ist nur eine Chronik jener schicksalhaften Tage. Er ist aus dem geistigen und emotionellen Blickwinkel des damaligen Geschehens heraus geschrieben! Militärhistoriker, Experten, Politiker, Psychologen und andere werden sich irgendwann damit ausführlicher beschäftigen. Sie werden analysieren, Lehren daraus ziehen, Theorien aufbauen. Dieser Beitrag soll aber ein lebendiges Abbild und auch Erinnerung daran sein, dass österreichische Soldaten bereit waren, ihr Treuegelöbnis einzulösen. Oder wie es die frühere steirische Landeshauptfrau und Landesmutter am 28. Juni 2001 in Spielfeld bei der 10-Jahrfeier so treffend formulierte: „Sich einsetzen und nicht nachfragen wie es ausgehen könnte“ Die Soldaten im Sicherungseinsatz 1991, die sich wirklich bewusst in Gefahr begaben, haben es getan!
B. Welche Erfahrungen zog ich damals aus dem Einsatz? Niedergeschrieben am 31. Juli, unmittelbar vor der Truppenverabschiedung in Eibiswald.
1. Unsere stärkste Waffe war das Glück. Gott stand uns bei. Undenkbar was gewesen wäre, wenn die in der 12. Ausbildungswoche stehenden Rekruten in ein Feuergefecht verwickelt worden wären. Es war nicht primär die Führungskunst oder gar die bisherige soldatische Erfahrung, die uns den Erfolg brachte. Es war zum Großteil Glück-es war die Gnade Gottes, dass wir nicht schießen mussten und dass auf uns nicht geschossen wurde. Dies sage ich, obwohl einer der Sprüche Landwehrstammregimentes 53 lautet:“ Glück hilft nur manchmal-gute und stete Arbeit immer!“ Diesmal war „manchmal!“Wir hatten Glück! 2. Bedem (Schutzwall 91)! Dieser Begriff geistert 1990 und 1991 durch die zivile und militärische Führungswelt. Es handelt sich um ein Planspiel der jugoslawischen Volksarmee. So wie es auch im Bundesheer unzählige Planspiele zur Verteidigung unseres Heimatbodens und Luftraumes gibt. Reine Routine! Das jugoslawische Planspiel ging davon aus, das die NATO auf Grund der Schwäche des WAPA, über Österreich und Italien einen militärischen Handstreich zur Inbesitznahme von Slowenien und Kroatien führt. Der Unterschied zu einem allgemeinen Planspiel war, das hinter der Kulisse dieses Planspieles, die JVA ihren Krieg gegen Slowenien und Kroatien vorbereitete. Dieses Planspieles wurde verschiedenen Personen in Österreich zugespielt. So erhielt der steirische Landeshauptmann Krainer ein Exemplar, welches er an das Militärkommando Steiermark weitergab. Von dort ging besagter Plan, wenn man gut unterrichteten Kreisen glauben darf, an das Heeresnachrichtenamt. Gesicherte „Schießgrundlagen“ hat aber bei der Truppe und in den unteren Führungsetagen niemand. Es scheint darauf anzukommen, dass möglichst vielen österr. Verantwortungsträgern dieses Planspiel zur Kenntnis gelangt. Seltsam- Seltsam. Wir achteten immer darauf, dass niemandem außenstehenden, unsere Planspiele in die Hände fielen? Warum wurde Wert darauf gelegt, dass gerade „diverse“ Personen von diesem Planspiel erfuhren? Es wird zukünftigen Historikern überlassen bleiben, Seriosität und Effizienz, alle verschlungenen Wege und die zuständigen Akteure dieses Planspieles auf die Ereignisse des Jahres bezogen 1991 zu bewerten. 3. Die Offizier- und Unteroffizierausbildung stellte sich als hervorragend heraus. Die Kommandanten aller Ebenen können wirklich führen! Leadership ist Alltag. Die Kommandanten aller Ebenen sind menschlich integer und eloquent in der Sprache und konsequent in der Sache. Trotzdem musste sehr häufig von der Befehlstaktik Gebrauch gemacht werden und Einzelheiten bis ins Detail befohlen werden! Warum? Ein gewisser Teil der Truppe aus anderen Bundesländern war mit den Grundsätzen des Sicherungseinsatzes nicht voll vertraut. Daher mussten manchmal, wie in der Grundausbildung oder beim Waffendrill, einzelne Schritte genau erläutert werden. Das verhinderte Unglücksfälle und Fehlverhalten. Die soldatischen Tugenden und die soldatischen Werte haben ihre absolute Gültigkeit bewiesen. Sie sicherten den Erfolg und sie werden auch in Zukunft der Garant für den Erfolg bleiben. Hüten wir diesen Schatz in unseren Vorschriften. Führung erfordert ein hohes Maß an Belastbarkeit, Flexibilität, Engagement, Kreativität, Managementqualitäten, Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit, Mut, Tapferkeit und Demut. Also soldatische Tugenden. Leben wir täglich diese soldatischen Tugenden, üben wir sie mit unseren Soldaten gewissenhaft ein - dann braucht uns um die Zukunft unseres Heeres nicht bange werden.Fraglich ist nicht die Ausbildung, sondern die Personalauswahl. Was nützt die beste Ausbildung, wenn Menschen mit zweifelhaftem Charakter sich vor der entscheidenden soldatischen Pflicht drücken? Sie können kämpfen- wollen aber nicht kämpfen! 4. Der Herr Bundesminister, Werner Fasslabend, erfüllte seine Aufgabe mit Respekt und Verständnis. Er war des Öfteren direkt an den Brennpunkten. Er genießt hohes Vertrauen und eine hohe Glaubwürdigkeit. Ohne Glaubwürdigkeit kann eine große Sache nicht erfolgreich beendet bzw. durchgeführt werden. Man merkte aber auch, dass sich Fasslabend gut beraten lässt. Aus seinen Worten war der Geist des GTI Karl Majcen, sowie der Divisionäre Pleiner, Hessel, Hochauer, Spinka und Schittenhelm herauszuhören. 5. General Fally und Divisionär Hubert Albrecht sind Führungspersönlichkeiten! Praktiker und Könner! Sie beherrschen die „Szene“ mit Format. Ich wünsche mir immer solche Führungspersönlichkeiten. Das Korpskommando I in Graz wurde von uns durch die ständige Anwesenheit von General Fally wahrgenommen. Wir selbst wurden vom Militärkommando Steiermark geführt. Sehr gut geführt. Dort hatten wir eine starke Stütze in Oberstleutnant dG Heinz Winkelmayer, Stabschef und G3 in Personalunion, sowie in Oberst Franz Gigler. Die beiden Offiziere waren meine Hauptgesprächspartner nach oben und „die Felsen in der Brandung!“ Beide Offiziere erfüllten ihre Dienstpflichten hervorragend. Konsequent und kameradschaftlich meisterten sie auch manchmal sehr vertrackte Situationen. 6. Mein Stellvertreter ist Hauptmann Hans Heritsch. Er ist ein begnadeter Teamplayer. Sein persönlicher/ menschlicher Verdienst ist es, dafür gesorgt zu haben, dass immer „alle geistig im gleichen Boot sitzen!“ 7. Die Masse der Offiziere, Unteroffiziere, Chargen und Rekruten erfüllten klug und verantwortungsbewusst ihre Pflicht. Sie wuchsen vielfach über sich hinaus. „Maulhelden und Pfeifen“ sah ich direkt im Einsatz keine. Die hielten sich irgendwie unauffällig verborgen, flohen in den Krankenstand oder waren auf Urlaub. Mit ihrer Rückkehr rechne ich ab September. 8. Der Leiter des Heeresmaterialamtes Divisionär Karl Becker erfüllte seine Aufgabe beispielhaft. Er unterstützte uns, wo es die Mittel und Möglichkeiten zuließen. 9. Eine unvorstellbare Hilfe war das Heeres-Nachrichtenamt. Divisionär Alfred Schätz griff uns mit seinen Männern kräftig unter die Arme. Viel zu unserem Erfolg trug diese Unterstützung bei. 10. Behörden, besonders Gendarmerie und Zollwache, Post, Bundesbahn, Straßenverwaltung, Feuerwehr und Rotes Kreuz zeigten sich von der besten Seite. Sie wurden Kameraden im Wortsinne. Besonders der Zollwache und der Gendarmerie gilt mein hoher Respekt. Sie haben ihre Aufgabe bestens gelöst, arbeiteten im Sinne des Staatswohles“ tapfer und treu“ und waren stets gute Kameraden! 11. Es gab keine Deserteure, keine Befehlsverweigerung, keine Meuterei, auch keine erwähnenswerten disziplinären Verstöße. Die Soldaten waren loyal, hilf-und einsatzbereit, mutig und integer. Ihr Bekenntnis zu Österreich und seiner Demokratie war im täglichen Dienst erkennbar. Anständig zu sein war Ehrensache! Sie hielten sich an ihr Treuegelöbnis. Politiker und militärische Vorgesetzte konnten damals auf diese Haltung stolz sein. Die Soldaten hatten Vertrauen in die eigene Kraft, in ihre Fähigkeiten, aber auch zu ihren Vorgesetzten. Und sie vertrauten damals auch voll der politischen Führung. Das war auch uneingeschränkt möglich. 12. Mit Ausnahme des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten, war die Politik mit Mann und Frau, täglich in vorderster Front vertreten. Innenminister, Verteidigungsminister, Landeshauptleute, National und Bundesräte, Wehrsprecher und Landespolitiker- sie alle gaben uns die Ehre. Eine Ausnahme machten nur die Grünen. Von dieser Partei ließ sich aus nicht erklärbaren Gründen keine Abgeordnete und kein Abgeordneter blicken! 13. Die slowenischen Verteidiger schlugen sich mit Bravour! Sowohl Polizei wie auch die Soldaten der Territorialverteidigung. Sie machten insgesamt einen guten Job. Wer die Hauptlast des Kampfes trug war von unserer Seite nicht beurteilbar. 14. Es gab auch Neid und Missgunst. Es gab negative Unterstellungen und auch diskriminierende Gerüchte. Viele brauchen ein Feindbild als seelisches Kraftfutter. 15. „Das konnte ja niemand wissen, bzw. ahnen“ war ab Beginn der Kampfhandlungen laufend zu hören. Natürlich konnte es jeder wissen, der es wissen wollte. Aber aus politisch korrekten Gründen wollten es viele nicht wissen und nicht wahrhaben. Viele wollten die Verschiebung der Proportionen nicht wahrhaben. Es war einem „Fremdeln vor den Realitäten“ ähnlich. Zur Wahrnehmungsverschiebung kam die rhetorische Keule wie „Kriegstreiber, Rambos, Rechtsextremist oder gar Nazi“ gegen jene, die sich der hochkontroversen Wirkungsverschiebung in Diskussionen stellten. Realitätsbezug war nicht mehrheitsfähig. Zu viele gaben friedensheischend und schnaubend ihre Statements, ungetrübt von jeglicher Sachkenntnis, haarscharf an der Wahrheit vorbei, ab. Wichtig war, das Wort Konflikt oder gar Bürgerkrieg nicht in den Mund zu nehmen. Als dieser dann tobte, wussten einige später nicht mehr, dass sie dies vor dem Sommer 1991 prinzipiell und grundsätzlich ausgeschlossen hatten. Es genügt natürlich nicht die Lehren zu ziehen- man muss die richtigen Lehren ziehen! Es mag hochemotionell richtig gewesen sein, den Frieden in aussichtloser Situation zu beschwören, rational war diese Haltung nicht! 16. Es gilt als Führungsgrundsatz, standhaft und konsequent seinen soldatischen Weg zu gehen, auch wenn sich Schwierigkeiten und Hindernisse auftun und die Zukunft ungewiss ist. Dieses reale Handeln in die Gefahr hinein ist plötzlich da und wurde teilweise sehr zögerlich angenommen. Das war, im Angesicht jugoslawischer Panzer in Radkersburg und Sentilj, JaBos über Graz und brennender Häuser an der Grenze, zwar auch erklärbar, aber vom soldatischen Standpunkt aus nicht tolerierbar. Der Sicherungseinsatz war keine Übung nach Drehbuch. Leadership wurde daher nur ganz vorne an der Sicherungslinie gesehen und erlebt. Es gab durchaus auch Soldaten, die ihre Dienstaufsicht im Einsatz mit Fehlersuche bei einer BTÜ verwechselten. Sie wurden milde belächelt, so wie Zombies aus einer fernen Welt. 17. Der Einsatz wurde von einigen wenigen Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Profil geprägt. Hüben und drüben. So handelte der JVA Korpskommandant in Marburg/Maribor erheblich energischer und engagierter, als sein Kamerad in Laibach/Ljubljana. Dadurch wurden auch die JVA Kräfte an der steirischen Grenze erheblich aggressiver wirksam, als an der Kärntner Grenze. Dass in der Steiermark in den Anfangstagen richtig reagiert wurde, zeigten die bitterbösen Reaktionen des General Andrija Raseta. Die Pflichterfüllung der österr. Soldaten „wirkte“ auf die JVA .Die JVA musste sich in ihrem Verhalten an der österr.-jugoslawischen Grenze zurücknehmen. 18. Heute werden wir am Hauptplatz von Eibiswald die letzten Soldaten des Einsatzes verabschieden. Hoffentlich kommt es nicht wieder, wie schon des Öfteren in den letzten Tagen, zu persönlichen Anfeindungen. Denn mancher hat diverse ungedeckte Rechnungen in seiner zweifelhaften Buchhaltung. „Die Kriegsrhetorik nimmt in Jugoslawien ein bedrohliches Ausmaß an. Systematische Entwürdigungen von Menschen, am Beispiel des jugoslawischen Partisanenkrieges von 1941 bis 1947, sind zu befürchten. Die Gefahr eines Flächenbrandes am Balkan liegt nicht im Vorhandensein der hierzu notwendigen Ressourcen und Motive, sondern im möglichen Versagen der Sicherheitssysteme europäischer Politik. Nur die NATO kann durch rechtzeitige Präsenz eine unvorstellbare Katastrophe verhindern. Sie wird aber an der pazifistischen Rhetorik Europas scheitern!“
Dies waren einige Sätze aus meiner Abschiedsrede am 31. Juli 1991.Leider wurden die schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit- wir hatten nicht die richtigen Lehren aus den Tagen vom 27. Juni bis 31. Juli 1991 gezogen!
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