Wehrpflichtdebatte: Generalstabschef Entacher im Club
Unabhängiger Liberaler
Pro-Wehrpflicht-Stimmung
Das Datum der Volksbefragung zur Frage „Beibehaltung der Wehrpflicht
oder Umstieg auf ein Berufsheer?“ rückt näher.
Die Sozialisten haben es geschafft, eine beispiellose Medienkampagne
pro Berufsheer zu initiieren. Im staatlichen Rotfunk und auf dem
Boulevard ist es so gut wie unmöglich, einen objektiven Beitrag zum
Thema zu finden, der beide Positionen würdigt.
Befürworter der (bis vor ganz kurzer Zeit auch von den Genossen noch
als „in Stein gemeißelt“ bezeichneten) Wehrpflicht werden entweder
dämonisiert, niedergemacht oder, wie man es im Land der Hämmer
auszudrücken pflegt, „nicht einmal ignoriert“.
Umso erfreulicher, dass sich der höchstrangige Offizier des
Bundesheeres, General Edmund Entacher, ein erklärter Befürworter der
Beibehaltung der Wehrpflicht (der deshalb vom Verteidigungsminister,
einem mit seiner Aufgabe sichtlich überforderten
Wehrdienstverweigerer, zeitweise seines Amtes enthoben wurde), sich
kurz vor der Abstimmung zu dieser Frage zum Vortrag bereit fand und
sich einer Diskussion stellte.
Eingangs verlieh Entacher seinem Bedauern darüber Ausdruck, dass in
der aktuellen Debatte kaum mit sachlichen Argumenten, sondern
vielmehr mit oft völlig aus der Luft gegriffenen Behauptungen und
Mutmaßungen operiert würde. So wies er unter anderem darauf hin,
dass vom ORF soeben ein „verpflichtender Wehrdienst für Frauen“ ins
Spiel gebracht wurde – eine Idee, die zu keinem Zeitpunkt je zur
Debatte stand –, wohl um auch die Frauen möglichst vollzählig gegen
die Wehrpflicht zu mobilisieren.
Nachdem der General die dem Bundesheer gestellten Hauptaufgaben
erläutert hatte, kam er auf die Mannschaftsstärken zu sprechen.
Derzeit seien rund 1.400 Mann zur Friedenssicherung im
Auslandseinsatz. Dazu meinte er, dass das zwar „am Stammtisch
vielfach nicht goutiert werde, Österreich international aber viel
Reputation bringt“. 57 Prozent der dafür abgestellten Soldaten
stammten aus den Reihen von Reserve und Miliz. Zur „Sicherung der
kritischen Infrastruktur“ (Kraftwerke,
Wasserversorgungseinrichtungen et cetera) bedürfe es 12.500 Mann,
ebenso für Assistenzeinsätze im Katastrophenfall. All diese Aufgaben
wären unter den Bedingungen einer Wehrpflichtigenarmee seit vielen
Jahrzehnten problemlos erfüllt worden. Im Auslandseinsatz
befindliche Soldaten des Bundesheeres erfreuten sich höchster
internationaler Anerkennung. An der vom Minister im Zusammenhang mit
der Umstellung auf ein Berufsheer immer wieder beschworenen
„Professionalität“ herrsche also bereits derzeit kein Mangel.
Europaweit würden derzeit die Wehrkapazitäten massiv abgebaut,
während überall sonst auf der Welt eine Aufrüstungswelle zu
beobachten sei: In den USA, Brasilien, China, Indien, Pakistan und
im Nahen Osten. Daraus würden langfristig Gefahren erwachsen, weil
militärische Schwäche stets zunehmende Bedrohungen mit sich brächte
– im Falle Europas aus dem Osten und dem Süden. Eine Beibehaltung
der Wehrpflicht bedeute für Österreich daher die Erhaltung seiner
Verteidigungskapazität.
Die „beachtliche Medienkampagne zugunsten des Berufsheeres“ würde
letztlich im Dienst einer Leistungsverschlechterung stehen. Es sei
schlicht unglaubwürdig zu behaupten, die dem Heer gestellten
Aufgaben bei gleichen Kosten und mit weniger Personal lösen zu
können. Der derzeitige Mannschaftsstand belaufe sich auf 14.000
Berufssoldaten und 11.000 Wehrpflichtige. Geplant seien (nach dem
von den Sozialisten beworbenen Modell) 8.000 Berufssoldaten, 7.300
Zeitsoldaten sowie eine Reduktion der Zivilbediensteten um 3.000.
Damit wären gleich mehrere Probleme verbunden: Der Abbau des damit
entstehenden „Überstandes“ (es handelt sich schließlich um
unkündbare Beamte) würde einen Zeitraum von 25 Jahren in Anspruch
nehmen. Zeitgleich käme es zu einem Fehlbestand (an Zeitsoldaten),
den aufzufüllen zehn bis 15 Jahre in Anspruch nehmen würde. Die
Pionier- und die ABC-Abwehrkapazität würden im Augenblick der
Umstellung auf ein Berufsheer um zwei Drittel abnehmen. Mit dem
bisher möglichen Umfang von Assistenzeinsätzen im Katastrophenfall
wäre es damit auf Jahre hinaus also vorbei.
Das Beispiel Schwedens, wo man sich vor einiger Zeit ebenfalls für
ein Berufsheer entschieden hat, sei niederschmetternd. Dort kämpfe
man gegen einen Fehlbestand von 37 Prozent der geplanten
Mannschaftsstärke. Man dürfe nicht in den Fehler verfallen, bei
Umfragen ermittelte Zahlen möglicher Interessenten mit tatsächlich
rekrutierbarem Personal zu verwechseln. So wurden etwa mit einer
großen österreichweiten Werbekampagne 2.000 „Interessenten“ für die
Tätigkeit in Pioniereinheiten gefunden. Von diesen blieben am Ende
noch 180 übrig, die dem Anforderungsprofil entsprachen. Die
Nonchalance, mit der die Apologeten eines Berufsheeres davon
ausgehen, dass die Rekrutierung von Zeitsoldaten keinerlei Problem
darstellen werde, sei durch die im In- und Ausland gemachten
Erfahrungen jedenfalls nicht gerechtfertigt.
Am Ende seines Vortrags meinte Entacher zusammenfassend, dass sich
das bestehende System, bei allem Verbesserungsbedarf, über
Jahrzehnte bewährt habe. Mit dem geplanten Berufsheer dagegen
betrete man nicht nur unsicheres Terrain, sondern könne sogar mit
Sicherheit davon ausgehen, dass es der gestellten Aufgabe schlechter
und nur zu letztlich höheren Kosten gerecht werden würde.
In der anschließenden Diskussion hatte Entacher Gelegenheit, einige
seiner im Vortrag bereits gebrachten Argumente zu vertiefen, räumte
allerdings verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten (Vermeidung von
Stehzeiten, attraktivere Ausbildung und allgemeine
Effizienzsteigerung in den Abläufen) beim bestehenden Modell ein.
Zugleich beklagte er die mit der Einführung einer Berufsarmee
einhergehende „Entsolidarisierung“ der Gesellschaft, was auch von
einigen der Anwesenden bekräftigt wurde. Man solle das bewährte
System nicht leichtfertig über Bord werfen, zumal es „realpolitisch
keinen Weg zurück“ (zur Wehrpflicht) gäbe. Sollte sich die
Entscheidung zur Umstellung als falsch erweisen, könne man diese
kaum mehr rückgängig machen.
Einer der Debattenredner betonte, dass der Wehrpflicht ein
„Wehrrecht“ gegenüberstehe. Ein anderer wunderte sich über die im
Saale herrschende „Pro-Wehrpflicht-Stimmung“, die mit einem
liberalen Weltbild schwer vereinbar sei. Der Staat habe nämlich
nicht das Recht, mündige Staatsbürger – gegen deren Willen – in
Uniformen zu stecken. Darauf erwiderte der General, dass er sich
nicht nur zur Wehrpflicht, sondern auch zur Schulpflicht und zur
Steuerpflicht bekenne. Er betrachte es als angemessen, wenn
Menschen, die viel vom Staat bekommen, diesem auch etwas geben…
Fazit: Sollte die im Club Unabhängiger Liberaler eindeutig für eine
Beibehaltung der Wehrpflicht vorherrschende Stimmung repräsentativ
für die am kommenden Sonntag zur Abstimmung schreitenden Bürger
sein, dann kann sich der rote Minister samt seiner Partei, dem ORF
und der „Kronenzeitung“ auf eine herbe Enttäuschung einstellen…
Andreas
Tögel
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